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Seit 2015 versuchte ein Landwirt aus den peruanischen Anden, den deutschen Energiekonzern RWE zivilrechtlich zur Mitverantwortung für Schutzmaßnahmen gegen eine drohende Gletscherflut heranzuziehen. Der Fall ist eines der öffentlichkeitswirksamsten Beispiele für sog. Klimaklagen, die weltweit in den letzten Jahren zugenommen haben. Über fast ein Jahrzehnt beschäftige der Fall die Gerichte – nicht zuletzt wegen der umfangreichen Beweisaufnahme, im Zuge derer die Richter des OLG Hamm mit zwei Sachverständigen selbst in die peruanischen Anden reisten, um sich vor Ort ein Bild von den geologischen und klimatischen Bedingungen zu machen. Nachdem bereits das LG Essen in erster Instanz die Klage abgewiesen hatte, hat nunmehr das OLG Hamm die Berufung mit Urteil vom 28.05.2025 zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen; dem Kläger verbleibt jedoch die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH. Gleichwohl enthält die Entscheidung einige wegweisende Implikationen für die potentielle zivilrechtliche (Mit-) Haftung von Unternehmen für den Klimawandel.
Die Argumentation des Klägers: Als großer CO2-Emittent trage RWE kausal zum Klimawandel und damit einhergehenden Naturkatastrophen – in diesem Fall zu einer möglichen Überflutung durch Gletscherschmelzen – bei. Der Kläger forderte daher eine anteilige Erstattung der notwendigen Kosten in Höhe von 3,5 Mio. Euro entsprechend dem Verhältnis, in dem RWE laut Studien1 für die globalen CO2-Emissionen verantwortlich sei, ursprünglich 0,47 %, nunmehr noch 0,38 %.
Als Anspruchsgrundlage rekurrierte der Kläger auf den Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach kann ein Grundstückseigentümer die Unterlassung von drohenden Beeinträchtigungen verlangen, die zukünftig von einer Störquelle für sein Grundstück ausgehen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung der zur Abwehr der künftigen Beeinträchtigung notwendigen Maßnahmen ergebe sich daran anschließend aus den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag nach den §§ 677 ff. BGB.
Diesem Gedankengang schloss sich das Gericht grundsätzlich an und stellte im Hinblick auf derartige Ansprüche klar, dass eine zivilrechtliche Haftung großer CO2-Emittenten wie RWE zumindest dem Grunde nach durchaus denkbar sei. Insbesondere stehe die große geographische Entfernung zwischen Verursacher und Betroffenem einer Haftung nicht entgegen.
Zudem sei unerheblich, ob der Emittent sich grundsätzlich gesetzeskonform verhalte. Die zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten bestünden auch unabhängig von der Einhaltung öffentlich-rechtlicher Regeln. Dass RWE sich dabei auf den (Energie-) Versorgungsauftrag gegenüber den deutschen Bürgern berief, drang beim OLG nicht durch. Der Versorgungsauftrag in Deutschland begründe keine Duldungspflicht für Beeinträchtigungen eines Betroffenen in Peru.
Zudem schließe auch die relative Geringfügigkeit der eigenen Emissionen eine Haftung nicht aus, sofern der Beitrag zu weltweiten Emissionen zumindest einen messbaren, quantifizierbaren Betrag erreiche (im Fall von RWE vermeintlich rund 0,38 %). Vor diesem Hintergrund verwarf der Senat auch das von der Beklagten vorgebrachte Argument, bei Anerkennung einer zivilrechtlichen Haftung könne „jeder gegen jeden“ eine Klimahaftung einklagen. Denn der Beitrag eines einzelnen Bürgers zum Klimawandel sei zu gering, um noch quantifizierbar zu sein. Insofern kämen nur Großunternehmen mit einem signifikanten Emissionsanteil als Adressat zivilrechtlicher Haftung in Frage.
Die Entscheidung steht insoweit gedanklich der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahe, das erstmals die intertemporale Wirkung der Freiheitsrechte anerkannt hat2. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert insoweit, dass einer Generation nicht das Recht zugestanden werden dürfe „unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde“. Aus Art. 20a GG ergebe sich eine intertemporale Grundrechtsvorwirkung, aufgrund derer der Staat zukünftigen Generationen gegenüber zu besonderer Sorgfalt verpflichtet sei. Um dieser Pflicht nachzukommen, hätte der Gesetzgeber klare Regelungen schaffen müssen, in denen die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 verbindlich festgelegt sind.
Beide Entscheidungen stehen insoweit in einem resonanten Verhältnis, als dass rechtliche Konsequenzen an ein heute klimaschädigendes Verhalten geknüpft werden, deren Auswirkungen sich erst potenziell in der Zukunft zeigen.
Trotz dieser Ausführungen hat das OLG Hamm die Berufung im Ergebnis zurückgewiesen. Dabei stützte sich der Senat vornehmlich auf die vor Ort am Laguna Palcacocha in Huaraz durchgeführte Beweisaufnahme und das entsprechende geowissenschaftliche Sachverständigengutachten. Danach betrage die Wahrscheinlichkeit, dass es in den kommenden 30 Jahren zu einer Überflutung komme, nur etwa 1 %. Zu wenig, um eine „drohende Beeinträchtigung“ im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB zu begründen. Angesichts dessen ließ es das OLG dahinstehen, dass einige der von den Sachverständigen zugrunde gelegten Prämissen hinsichtlich der geologischen Gegebenheiten insgesamt sogar den Kläger begünstigten und die tatsächliche Eintrittswahrscheinlichkeit wohl sogar noch deutlich unter einem Prozent läge.
Die Zurückweisung der Berufung – und damit das Scheitern der Klage – lässt sich mithin (lediglich) auf die fallspezifischen und insbesondere örtlichen Besonderheiten zurückzuführen.
Zwar lässt sich anhand der Entscheidung festmachen, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der künftigen Beeinträchtigung nicht zu niedrig anzusetzen sein dürften. Allerdings bleibt ungewiss, ab welchem Grad an Wahrscheinlichkeit letztlich eine Haftung zu bejahen wäre. Insofern dürfte bei ähnlich gelagerten Fällen, in denen die Kläger unter Umständen eine belastbarere Beweissituation vorbringen können, ein zukünftig nicht zu unterschätzendes Prozessrisiko für emissionsstarke Unternehmen bestehen.
Mit seiner Argumentationskette hat das OLG Hamm ein Fundament für eine potentielle zivilrechtliche Klimahaftung geschaffen und dabei eine Einstandspflicht von Unternehmen jedenfalls dem Grunde nach anerkannt. Das Zivilrecht wird so zu einem möglichen Hebel zur Durchsetzung des Klimaschutzes gegenüber privatwirtschaftlichen Akteuren – zumindest dann, wenn eine konkrete und hinreichend wahrscheinliche Gefahr im Einzelfall nachgewiesen werden kann.
Die Entscheidung des OLG Hamm ist damit sicherlich kein Endpunkt in der Frage, ob das Zivilrecht als prinzipielles Mittel zum Klimaschutz instrumentalisiert werden kann. Gleichwohl lassen sich grundsätzliche Bedenken gegen die Argumentation des OLG Hamm ausmachen, auch innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit. So betonten die Oberlandesgerichte aus Braunschweig, Stuttgart und München in Verfahren gegen große deutsche Automobilhersteller, dass es Sache des Gesetzgebers sei, hinreichende Maßnahmen für den Klimaschutz zu treffen. Solange Unternehmen sich innerhalb dieses gesetzlich erlaubten Rahmens bewegten, liege auch keine rechtswidrige Beeinträchtigung vor, die einen Unterlassungsanspruch nach §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB begründen könnte3. Diese Argumentation läuft konträr zu der des OLG Hamm, wonach die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Regeln ein Unternehmen nicht vor einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme schützen könne.
Ob die Aussage des Vorsitzenden Richters Dr. Rolf Meyer zum Prozessausgang, „Das Verfahren fordert nicht zur Nachahmung auf“ in dieser Form zutrifft, dürfte vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen stark bezweifelt werden. Das zeigt sich auch durch die weiteren bislang anhängigen Klimaklagen gegen Unternehmen, bei denen Umweltverbände wie Privatpersonen auf Unterlassung klimaschädigender Geschäftsmodelle, beispielsweise den Verkauf von Kraftfahrzeugen mit Verbrennermotoren oder die Förderung fossiler Brennstoffe, klagen.
Für Unternehmen – insbesondere solche mit überdurchschnittlicher Emissionsbilanz – bedeutet dies eine wachsende Verantwortung, die nicht allein durch regulatorische Compliance abgedeckt ist. Auch im Bereich des Zivilrechts entstehen neue Haftungsrisiken, die bislang nicht im Zentrum der Risikobewertung standen. Die Rechtsprechung signalisiert dabei unmissverständlich: Wer durch unternehmerisches Handeln erhebliche Umweltwirkungen erzeugt, muss künftig mit gerichtlicher Überprüfung rechnen – und dies nicht nur im Inland. Unternehmen sind daher gut beraten, ihre Klimastrategien nicht nur aus Sicht von Nachhaltigkeit und Reputation, sondern auch unter zivilrechtlichen und haftungsdogmatischen Gesichtspunkten zu überprüfen. Präventive Rechtsberatung und eine proaktive Auseinandersetzung mit möglichen Anspruchsgrundlagen könnten künftig den Unterschied machen – zwischen reaktiver Verteidigung und strategischer Risikosteuerung.
Verfasst von Dr. Sebastian Gräler und Julius Fabian Stehl, LL.M.
References